Am 31. März 2016 ist Imre Kertész im Alter von 86 Jahren gestorben.
« Ich schreibe zwar über Auschwitz », sagte er einmal, « aber man hat mich nicht dazu nach Auschwitz gebracht, damit ich den Nobelpreis bekomme, sondern damit ich umgebracht werde. »
Er war einer der bedeutendsten Schriftsteller, die sich mit dem Holocaust befasst haben.
Mit 14 Jahren wurde er ins Konzentrationslager Auschwitz, dann ins Buchenwald-Außenlager Wille verschleppt.
Diese traumatischen Erlebnisse haben sein ganzes Leben geprägt, ebenso wie die folgende kommunistische Diktatur seines Heimatlandes Ungarn.
Er wurde mit Literaturpreisen, und mit politischen Preisen, überhäuft, es dürften ca. 25 internationale Preise und weitere ca. 20 ungarischen Ehrungen sein. Höhepunkt war 2002 die Verleihung des Nobelpreises für Literatur. Den höchsten ungarischen Staatspreis nahm er 2014 an, weil er einen Konsens mit seinem Land suchte. Vorher hatte er 10 Jahre in Berlin gelebt.
Dennoch ist er nie wirklich populär geworden. Woran liegt das? Ich kann das nur subjektiv beantworten.
Alle großen Tageszeitungen widmen ihm lange Artikel, alle Kulturmagazine würdigen sein Werk.
Die FAZ beginnt: « Das Böse hielt er für erklärbar, das Gute blieb ihm ein Rätsel. » Und zitiert ihn: „Mag sein, dass der Satan selbst irrational ist, seine Geschöpfe aber sind sehr wohl rationale Wesen, alle ihre Taten lassen sich ableiten wie eine mathematische Formel. »
In seinen Büchern stoßen wir auf ein extrem hohes intellektuelles Niveau, gepaart mit einer düsteren, pessimistischen Grundhaltung. Die Texte erschließen sich nicht auf Anhieb, sie sind harte Kost, die Nachdenken erfordern. Außerdem ist die Grenze zwischen Fiktion und autobiografischen Erlebnissen fließend, der Leser ist oft irritiert, weil er die gängigen Schemata vermisst. Wenn Kertész in seinen Romanen eigene Erlebnisse verarbeitet, bedient er sich oft philosophischer Betrachtungen.
Ist es also schwierig, seine Werke zu lesen? Ja und nein, man muss sich auf ihn einlassen. Er hat so viel zu sagen.
Seine Interviews sind menschlicher, besser verständlich. Doch seine Bücher gehören ohne Zweifel zur Weltliteratur.
Zu seiner Biografie gehört, dass er nicht nur fast im Konzentrationslager ermordet worden wäre, sondern auch Jahrzehnte später in Ungarn ums Überleben kämpfen musste. Er schlug sich als Übersetzer durch und schrieb kleine Theaterstücke. Doch begann er 1960 – trotz Einschränkungen der Meinungsfreiheit – sein Hauptwerk « Roman eines Schicksallosen » (Etre sans destin), an dem er 13 Jahre arbeitete und das seinen Ruhm begründete, wenn auch mit erheblicher Verspätung. Erst nach der Wende 1989 wurde er international bekannt und gewürdigt.
Der « Schicksallose », ist ein 15-jähriger Junge, der ins Konzentrationslager deportiert wird, und das Grauen ohne das sonst übliche Entsetzen beschreibt. Das Grauen wird dadurch nicht weniger schlimm, aber gewissermaßen normal.
Der Roman wurde 2005 verfilmt, jedoch wurde der Film in Deutschland völlig verrissen, weil er als zu harmlos und banal angesehen wurde. Tatsächlich ist eine Verfilmung problematisch, jedoch ist die emotionslose Schilderung des Bösen erhalten geblieben.
Ich habe keinen klassischen Nachruf geschrieben, das können andere besser. Man muss nur den Namen ins Internet eingeben und findet hundertfach Würdigungen. Ich kann auch weder abraten, noch empfehlen, Kertész zu lesen. Aber wer sich darauf einlässt, hat enorme Möglichkeiten, über das Gute und Böse zu diskutieren.
Noch ein Zitat zum Schluss: « Auch wenn ich von etwas ganz anderem spreche, spreche ich von Auschwitz »
Jürgen Donat
Sehr schon Jürgen ! ☺